Totoks Terminal Drumming

Vor drei Wochen endete der Wettkampf zwischen drei Club-KIs in einer Katastrophe und das Totok, Berlins Vorzeige-Club wurde geschlossen. In der internationalen Musikszene gibt es seitdem kein anderes Thema mehr. Während die Ermittlungen laufen und vieles unklar ist, fluten Gerüchte und Fakenews die Kanäle und heizen die Diskussionen an.
Die Journalistin Susan Willies beschäftigt sich schon lange mit der weltweiten Szene der KI-Clubs und bietet hier eine erste Rekonstruktion der dramatischen Ereignisse.

TOTOK CLUB || KI

Wer verstehen möchte, was im Totok passiert ist, stößt unweigerlich auf Armoy Polca. Die 57-jährige Betreiberin des Clubs ist seit vielen Jahre eine ebenso schillernde wie umstrittene Persönlichkeit des Berliner Nachtlebens. Innovationspreisträgerin Berlin Brandenburg, Mitbegründerin der Netzwerk-Club-Bewegung und Lichtgestalt der Club-KI-Szene. Nach eigener Aussage betrachtet sie es als ihre Lebensaufgabe, das Cluberlebnis entlang der technologischen Möglichkeiten bestmöglich weiterzuentwickeln. Dabei scheint sie nun einen Schritt zu weit gegangen zu sein.

Zweifellos ist das Totok ein erstaunlicher Ort. Angesiedelt in einem ehemaligen Zalando-Logistik-Zentrum im Berliner Osten hat es den Ruf einer der technisch ambitioniertesten Clubs weltweit zu sein:
Multichannel Embedded Audio, Allover-Projektionswände, bewegliche Licht/Laser-Installation, Hologramm-Projektoren, Tanzroboter von Agilbots, MixedReality-Crowdteleportation, …
Auf Totoks Webseite ist eine sehr detaillierte Equipment-Liste zu finden, die Marco Blank mal als Technik-Porn bezeichnete. Doch der eigentliche Star ist die autonom-generativ arbeitende KI. Sie trägt den Namen des Clubs und ist DJ, VJ und Lightartist in einem – ein perfekt abgestimmtes Event-Team auf Steroiden.

Armoy Polca / ©mja

Vor einem Jahr hat Armoy Polca in einem MoveCulture-Interview ausführlich über ihre eigenentwickelte Club-KI gesprochen. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie autonome Maschinen für den logischen, nächsten Schritt in der Club-Kultur hält. Befreit von menschlichen Beschränkungen und der Macht der unendlichen Kombinatorik wird ihrer Meinung nach die Kreativität potenziert.
Die Arbeitsweise von Totok basiert auf dem ‚Meta-Sampling‘. Die KI kann nicht nur Ausschnitte aus Musikstücken, sondern auch extrahierte Stems, SingleSounds, Melodien, Rhythmen, Dynamiken oder Strukturen für eine Rekombination nutzen oder auch ganz eigene Elemente generieren.
Grundlage ist ein Katalog, der einen nahezu vollständigen Überblick über das musikalische Schaffen der Menschheit bietet. Nicht ohne Stolz erläuterte Polca gegenüber MoveCulture, dass Totok kein Problem hätte, einen Abend mit kaukasischer Volksmusik, Psychedelic Folk Rock oder klassischer Gitarrenmusik zu füllen.
Die KI nutzt dieses umfangreiche Wissen für zahllose Genre-Referenzen und Klangzitate, die während ihrer Performances ineinander verwoben werden. Die Musikwissenschaftlerin Sabine Weiters bescheinigte ihr die Fähigkeit, Club-taugliche Musik mit einer subversiven Freude am Experiment zu verbinden.
Zu Beginn musste diese Spielfreude gebremst werden, da das Publikum mit der freidrehenden Kreativität überfordert wurde. Dessen Erwartungen waren tendenziell konservativ, so Polca. Lieber etwas Bekanntes und weniger Neues. Doch das hat sich geändert. Jetzt verlangt das Publikum nach immer neuen, verrückteren Ideen. Animal-Techno, ReverseHouse, 8Bit-Folk – im Grunde wird an jedem Abend im Totok ein neues Genre erfunden. Für Armoy Polca ein Beleg, dass die Grenze des kreativ Machbaren und vom Publikum Akzeptierten immer weiter verschoben werden kann.

Für diese Überzeugungen wird sie von vielen wie ein Star gefeiert. Andere sind wenig begeistert – allen voran die Künstlerinnen und Künstler selbst, die von Polca aufs Abstellgleis geschoben werden.

Sie wollen es nur nicht wahrhaben – Totok leistet bessere Arbeit als sie. Ich würde alles in Kauf nehmen, wenn es anders wäre… Kosten, Booking, Organisation… aber so ist es nicht. Ich empfehle sehr, das zu akzeptieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

Mit solchen Aussagen macht sich Polca viele Feinde in der Clubbranche, aber das scheint sie nicht zu stören. Im Gegenteil: Sie genießt ihre Rolle und streitet gerne mit ihren Kritikern.
Doch ist ihre Behauptung überhaupt zutreffend, dass die Club-KIs eine bessere Arbeit leisten? 
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass eine Nacht im Totok sehr beeindruckend sein kann – eine perfekt abgestimmte audio-visuelle Show. Doch die Intensität der Performance ist nicht nur beeindruckend, ich empfand sie auch als erdrückend – ein maschinen-induzierter Überlastungszustand. In einem Posting sprach ein Besucher mal davon, dass er sich nach einer Nacht im Club tagelang ‚getotokt‘ fühlte. Anders als ich scheinen viele Totok-Fans genau diesen Zustand zu lieben. Wahrscheinlich sind sie auch deswegen so begeistert auf die Idee eines Club-Battles eingestiegen.

Club-Battle?

Niemand wunderte sich, als das Totok mit den beiden Clubs Futu (Stockholm) und Silapha (Kapstadt) ein Battle ankündigte. Drei Club-KIs treten gegeneinander an und versuchen mit ihrer Performance das Publikum ihres Home-Clubs in die messbar beste Stimmung zu versetzen – eine interessante, fast schon naheliegende Idee.
Erstaunlich ist sie trotzdem. Die drei Clubs sind Teil des weltweit größten Netzwerk-Clubs. Diese Netzwerke haben die Vision, aller Schwierigkeiten zum Trotz, eine globale, gleichberechtigte Community aufzubauen. Bei Netzwerk-Events läuft in allen teilnehmenden Clubs die gleiche KI-generierte Musik – mit dem Ziel, die kulturellen Einflüsse aller zu berücksichtigen. Eine demokratische Weltmusik, die lokale musikalische Einflüsse direkt mit der globalen Gemeinschaft verbindet. Mit Hilfe von Crowdteleportation können Besucher verschiedener Clubs Kontakt miteinander aufnehmen – zusammen tanzen, sprechen, lachen.
Wie Briam Okongo in seinem Buch ‚It’s still a small planet‘ nachzeichnet, haben Netzwerk-Clubs durchaus eine gesellschaftliche Mission und politische Botschaft, die nicht allen gefällt. In vielen Ländern müssen die Clubs deshalb im Untergrund arbeiten und werden dabei vom Netzwerk unterstützt. Es geht also um Gemeinschaft und Zusammenhalt und nicht um Konkurrenz oder Abschottung. Vor diesem Hintergrund wirkt die Idee eines Battles mindestens deplatziert.

Jerik Holmgren, Geschäftsführer des Futu erklärte es nach dem Club-Battle so: 
„Armoy kam mit der Idee auf uns zu, und wir hatten Lust mal was Neues auszuprobieren. Warum auch nicht? Besonders ernst haben wir die Sache nicht genommen. Das war für uns nur ein Aufhänger, ein neuer Party-Claim. Es gab ja keinen wirklichen Austausch zwischen unseren Club-KIs. Auf welcher Basis hätte der auch stattfinden sollen? Also haben wir eine Fake-Ampel in unsere Shows eingebaut. Der Club, der vorne liegt, grüne Ampel, die beiden anderen rot. Vereinbart war, dass wir ein bisschen damit herumspielen, mal der eine, mal der andere vorne und am Ende sind alle irgendwie Sieger. Wir wollten ja eine gute Party und keine frustrierten Gäste.“
Diese Aussage erstaunt. Für eine Idee von Armoy Polca klingt sie sowohl inhaltlich als auch technisch viel zu unambitioniert. Warum ein Battle veranstalten, wenn es Fake ist und auch noch für Unmut im Netzwerk sorgt?

Preparation

Während sich die Event-Kommunikation in Südafrika und Schweden auf ein paar kurze Posts für einen spaßigen Abend beschränkte, tauchten in den Berliner Totok-Kanälen schon Wochen vorher die ersten Ankündigungen auf. Das ist ungewöhnlich, da der Club Veranstaltungen aus Tradition eigentlich nie ankündigt. Es ist einfach ein Abend im Totok, in welche Richtung es geht, welches Motto er hat, wird kurzfristig nach Lust und Laune entschieden – das macht den Reiz des Clubs aus. In diesem Fall war es anders. Von Beginn an wurde von einem epischen Club-Battle gesprochen und der Chance, Teil eines besonderen Ereignisses zu werden.
Die Bereitschaft darauf einzusteigen, war von Anfang an sehr groß, auch als klar wurde, worauf man sich einlassen musste, um dabei zu sein. Vollkommen unüblich, wurde zur Vorbereitung auf den Wettkampf auch die Angabe persönlicher Informationen erwartet – Musikgeschmack, Zugriff auf SocialMedia, ein kurzes Statement, warum man dabei sein will. Es war ein offenes Geheimnis, dass man ohne diesen Input keine Chance auf eines der begehrten Tickets hatte. Aber das schien kein Problem zu sein.
Der Begriff Club-Kollektiv bekam eine ganz neue Bedeutung. Die Kommunikation zwischen den Fans entwickelte eine erstaunliche Eigendynamik, die sich bis zum Event immer weiter hochschaukelte. Alle wollten sich einbringen, alle fütterten die Datenbank mit Informationen. Die Aufregung wuchs genauso wie die Motivation, diesen Abend gemeinsam mit Totok zu gewinnen. Und dann war es soweit.

ASIC/B

DJs brauchen die Rückmeldung des Publikums, eine emotionale Resonanz, um ein gutes Set spielen zu können. Club-KIs erhalten dieses Performance-Feedback über ‚Realtime-Videocapturing & -analysis‘. Es liefert Informationen über Bewegungen, Gesichtsausdrücke, Synchronizität und Gruppendynamik. Mit dem Eintritt erklärt man sich automatisch mit dem Einsatz dieser Technik einverstanden. Doch dieser Input scheint im Totok an diesem Abend nicht mehr gereicht zu haben.

Den ausgewählten Ticket-Ownern wurden beim Eintritt InEar-Kopfhörer ausgehändigt, verbunden mit der Aufforderung, sie über einen individuellen Barcode zu aktivieren und unbedingt zu tragen. Im Vorfeld war davon nie die Rede gewesen, doch niemand stellte Fragen – jetzt war Battle-Time.
Unüblich ist es nicht, Kopfhörer oder AR-Devices im Totok zu tragen. Für Netzwerk-Club-Events ist das sogar ein entscheidender Spaßfaktor, da man dann auch mit Projektionen aus anderen Clubs interagieren kann. Verpflichtend waren sie bisher allerdings nie und Projektionen waren an diesem Abend nicht vorgesehen – die Clubs sollten unter sich bleiben. Warum also dieser Aufwand?
Um das zu beantworten, lohnt ein Blick auf das verwendete Modell: Sennheiser ASIC/B.
Diese Edelkopfhörer bieten neben hervorragenden Audiolayer-Eigenschaften auch die derzeit präziseste Erfassung biometrischer Daten – Herz- und Atemfrequenz, Blutdruck, Muskelspannung, Hautleitfähigkeit, Bewegungsintensität, Körpertemperatur und eine verbesserte transdermale Hormonmessung.
Armoy Polca kann es unmöglich um einen wirtschaftlich gewinnbringenden Abend gegangen sein. Die Kosten für die Bereitstellung der ASIC/B können in keinem Verhältnis zu den Einnahmen gestanden haben. Wahrscheinlicher ist, dass Polca hier zum ersten Mal etwas umsetzen wollte, das sie schon vor Jahren in diesem Post formulierte.   

Jeder Mensch ist eine Variable, die aufgelöst werden kann. Erst wenn es keine Unbekannten mehr gibt, entsteht ein perfektes Gemeinschaftserlebnis.

Im Totok gab es jetzt einen perfekten Regelkreis zwischen Publikum und Club-KI. Ein großes Testlabor – mit bereitwilligen Versuchspersonen und einer KI, der neben der Videoanalyse auch biometrische Echtzeit-Profile zur Verfügung standen.

Approximation – Ramp up – Redemption

Aus dem Totok gibt es keine Video- oder Audiomitschnitte – das ist Teil der Marketing-Strategie. ‚Du weißt nie, was du verpasst‘. Jeder Abend ist einmalig und soll es auch bleiben.
Doch in diesem Fall wurde ein Audiomitschnitt geleakt. In Verbindung mit Aussagen von Besucher/innen und weiteren Quellen lässt sich der Verlauf des Abends rekonstruieren. Die gut fünfstündige Aufzeichnung ist nicht nur eine erstaunliche musikalische Reise, sie zeigt auch eine zielgerichtete Funktionsperformance, die sich in drei Phasen einteilen lässt.

Approximation

Wie immer im Totok begann der Abend mit der Verkündung des Mottos. TERMINAL DRUMMING erschien auf den Videowänden. Ein ungewöhnliches Motto, aber das Publikum war mit allem einverstanden. 
Die Club-KI konfrontierte die Anwesenden in den ersten dreizig Minuten mit einem babylonischen Gewirr aus Genre-, Melodie- und Klang-Zitaten. 8 oder 16 Takte, dann änderte sich die Richtung. Das Tempo der musikalischen Transformationen war beeindruckend. Trotz der Sprunghaftigkeit blieb die Performance tanzbar und für das Publikum auf eine eigentümliche Weise vertraut.
Dieser Wiedererkennungseffekt basierte wahrscheinlich auf einer Clusteranalyse der zuvor erhobenen individuellen musikalischen Vorlieben. Die identifizierten Trendgruppen wurden durch systematisches Genre-Hopping angesprochen und schrittweise aneinander angeglichen
Leider ist auf dem Audiomitschnitt nichts von der Audiolayer-Funktion der ASIC/B zu hören. Berichte von Besuchern deuten aber darauf hin, dass zusätzlich musikalische Mikrovariationen in Fokusgruppen getestet und erst an alle ausgespielt wurden, wenn die Varianten eine Anpassung an die Gesamterwartung des Publikums erwarten ließen.
Totok spielte also in kürzester Zeit eine detaillierte Testreihe durch, um eine performative Ideallinie zu finden. Der Sound wurde zunehmend konsistenter und bediente das ermittelte kollektive musikalische Bedürfnis. Die Ampel stand auf grün – Berlin lag vorne und die Tanzenden wurden mit einer energetisch-positiven Genre-Melange weiter angefeuert.
In den nächsten 45 Minuten arbeitete Totok auf diesem Fundament, nutzte aber die Zeit für einen weiteren Arbeitsschritt. Statt musikalischer Variationen wurden über die ASCI/B jetzt individualisierte Botschaften an die Tanzenden ausgespielt – Hooks, Vocal Chops, Adlibs.
Totok konnte aus dem Pool der vielen Informationen schöpfen, die ihr im Vorfeld mitgeteilt wurden und daraus Persönlichkeitsprofile ableiten. 

„Mein Freund hatte vor kurzem Schluss gemacht… ich kam sehr traurig ins Totok. Mein Ego war am Boden. Ich hatte Angst alleine zu sein, wusste nicht, wie es weitergehen soll. Mir war nicht nach tanzen, aber die Stimmung war magisch… das hat mich mitgerissen. Und dann plötzlich diese Botschaften… wie für mich gemacht… die waren genau das, was ich gebraucht habe… und dann war die Traurigkeit plötzlich weg, die mich tagelang runtergezogen hat… ich fühlte mich unglaublich gut… alle waren super drauf…“ (Jessy, 20)

Zu diesem Zeitpunkt wußte Jessy nicht, dass nur sie diese Botschaften hören konnte, denn jeder im Publikum wurde individuell angesprochen. Interessant ist, dass sich Totok ausschließlich auf belastende Emotionen fokussierte. Angst, Einsamkeit, Traurigkeit, Scham, Frustration, Wut – sie schien bei allen Besuchern fündig geworden zu sein.
Und Totoks Intention? Nach Abbruch des Events konnten einige ASIC/B ausgewertet werden. Die gespeicherten biometrischen Daten zeigen, dass die KI den Hormonstatus als wichtige Einflussgröße identifiziert haben muss. Die Produktion von Dopamin, Serotonin, Oxytocin und anderen Hormonen wurde von ihr gezielt beeinflusst. Offensichtlich ‚hackte‘ Totok die Anwesenden, um letzte emotionale Barrieren zu beseitigen.
Der Abend hatte sich in ein rauschhaftes, kollektives Erlebnis gewandelt. Niemand konnte oder wollte jetzt noch die Tanzfläche verlassen.

Ramp up

Die nächste Phase begann mit Unsicherheit. Die Ampel zeigte immer häufiger rot. Berlin nicht mehr vorne? Die euphorisch-positive Musik glitt über in eine härtere, technoide Klangwelt, dominiert von einem treibenden, komplexen Rhythmus. Geräuschhafte Klangfragmente verdrängten mehr und mehr die melodischen Anteile. 
Auf dem Audiomitschnitt sind jetzt kurze Sprachbotschaften zu hören. Totok ersetzte die individuellen durch kollektive über die Lautsprecher ausgespielte Botschaften. Waren es zu Beginn positive Oneliner, die den Teamgeist beschworen (z.B. United we stand, We’ll fight together) wurde ihr Ton zunehmend fordernder (z.B. We will lose if you don’t make it, Is that all you can do?) oder sogar beleidigend (Red is for losers, Fuck you when you’re down).
Mit aufwändigen Cuttings und Effekten veredelt wurden diese Botschaften hintergründig eingebettet. Doch ihre stetige Wiederholung verankerte sie trotzdem im Unbewussten der Tanzenden.
Auch die visuelle Performance passte sich an. War es bisher eine farbenfrohe Lightshow mit abstrakt-fröhlichen Visuals reduzierte sich das Szenario. Weißlicht-Stroboskope wechselten sich mit gegenständlichen Darstellungen auf den Allover-Videowänden ab. Ihre Motivwelt war erstaunlich explizit. Sehr schnell wechselnde, endlose Bilderreihen von schwitzenden, verzweifelt kämpfenden und  verlierenden, aber auch siegenden Menschen in verschiedensten Situationen. Irgendwo in dieser Bilderflut konnte sich jeder wiederfinden.
Die ‚Ampel‘ zeigte fast durchgängig rot. Ständig flackerte irgendwo ein rotes Licht auf. Allen war klar – wir verlieren! 
Die Musik wurde noch kälter und härter – im Kontrast zur ersten Phase wirkte sie fast wie eine Bestrafung. Und die Club-KI entschied sich für eine Steigerung des Tempos. Langsam, aber stetig erhöhte sie es, bis es schließlich bei 184 BPM stagnierte. Ein sehr hohes Tempo, das den Tanzenden viel abverlangte. Doch das Publikum folgte Totok leidenschaftlich.

„Total irre. Alle komplett durch. Die Musik … brutal … Highspeed … Hab mich noch nie so lange so schnell bewegt. Trotzdem überall die Loser-Ampel. Wie, wenn wir so geil abfahren? Wie? Dann war ich am Boden, es ging nicht mehr – bin nicht so der Sportliche –  aber da unten, da hab ich weiter gemacht. Auf dem Boden! Weiter gemacht! Zwischen den Verrückten. Keine Ahnung, das war ein Gefühl… kann ich nicht erklären… Ich hab schon viel eingeworfen, aber das hat alles getoppt. Und da ging noch mehr. Das wusste ich und das wollte ich. Das wollten alle.“ (Sven, 19)

Redemption

Egal, wie hart der Beat wurde, wie deprimierend die Bilder auf den Videoleinwänden – Totok und die Tanzenden waren vereint in dem Wunsch zu gewinnen. Doch die Lichter blieben rot.
Die KI schien in eine Sackgasse geraten zu sein. Der Sound prügelte einfallslos dahin und die Tanzenden verausgabten sich ohne Ausweg. Doch dann auf dem Höhepunkt dieser Ratlosigkeit passierte etwas Erstaunliches: Die Ampel sprang auf grün und kurz danach wurde der Gesamtsieger des Abends ausgerufen. Berlin hatte gewonnen – niemand dachte darüber nach, wie es dazu gekommen war oder zweifelte daran.
Im Publikum führte das zu einem hormonellen Feuerwerk und Totok begann umgehend mit dem Umbau ihrer Performance. Gemeinsam hatten sie es geschafft und nun konnten sie sich auf dieser neuen Ebene feiern.
Das Tempo blieb unverändert bei 184 BPM, doch die Sounds verloren ihren strengen, technoiden Charakter. Stattdessen gab jetzt der Klang einer Schamanentrommel den Takt vor, umrahmt von rhythmischen Variationen, gespielt auf einem wirren Mix verschiedenster Perkussionsinstrumente. Darüber schob sich ein warmer Drone, überlagert von melodischen und gesanglichen Fragmenten, die entfernt an Chod, Sufi und Native Americans erinnerten. Das Publikum nahm diese Veränderung euphorisch auf. Jetzt mussten sie nicht mehr tanzen, sie wollten es, drehten sich im Kreis, sprangen in die Luft, weinten, lachten und bewegten sich wild umeinander. Niemand wollte dieses neue Level verlassen… genau dafür hatten sie gekämpft.
Es begann die Phase der hypnotischen Monotonie. Das grüne Licht der Ampel verblasste und verschwand dann vollständig. Die Projektionswände blieben schwarz. Keine Ablenkung mehr. Nur ein visueller Grundschlag, ein langsam pulsierender Lichtbogen. Licht, Dunkelheit – die Tanzenden verloren jedes Zeitgefühl und der Puls erschien ihnen wie ganze Tage und Nächte.
Die Euphorie über den Sieg war einer tiefen Trance gewichen. Das Kollektiv löste sich auf und die Tanzenden bewegten sich wild und selbstversunken zu Totoks Uptempo-Interpretation ritueller Musik. Dieses musikalische Plateau dehnte sich bis zum Abbruch des Events. 2 Stunden 25 Minuten.

„Mein Herz raste und pumpte und pumpte. Mir tat alles weh… und ich hatte Durst, unendlichen Durst. Der Schweiß lief mir übers Gesicht. Aber ich wollte nicht aufhören… ich sah alle und niemanden. Überall Schmerz und Versunkenheit und wilder Tanz. Diese Mischung war verrückt… aber es fühlte sich genau richtig an. Wir alle waren zusammen in diesem Moment… und trotzdem war ich alleine mit mir. Dann lag meine Freundin auf dem Boden… ich tanzte um sie herum… dachte über nichts nach… keine Regung, irgendwas zu unternehmen… sie ruht sich aus, war ein Gedanke, aber er verflog direkt wieder… und ich tanzte immer weiter… bis die Musik stoppte… Zack! Stille… nur das Stöhnen der Leute und die Füße auf dem Boden… Ein grelles Licht ging an und hat die Halle geflutet. Und plötzlich waren überall Sanitäter und Polizisten und was weiß ich… ich hatte absolut keinen Plan, was abging… bewegte mich noch eine Weile durch die verstörte Menge… dann sah ich, wie sich ein Sanitäter über meine Freundin beugte… ich brauchte eine Weile, um es zu verstehen… sie war tot. Lag da einfach auf dem Boden, während ich um sie herumgesprungen bin … mein Hirn hat komplett ausgesetzt….alles brach über mir zusammen. Ich hab geschrien… immer weiter… bis ich das Bewusstsein verloren habe.“ (Claude, 21)

Das abrupte Ende verhinderte zwar Schlimmeres, machte aber auch das Ausmaß der Katastrophe sichtbar. 27 junge Menschen starben in dieser Nacht. Totok hatte sie über ihre physischen Grenzen geführt. Häufigste Todesursache: Herzversagen durch Überanstrengung. 59 weitere Personen mussten stationär behandelt werden und die psychischen Auswirkungen sind noch nicht abzusehen. Viele sind traumatisiert, andere fasziniert – sicher ist aber, dass sie diese extreme Erfahrung noch lange beschäftigen wird.

Semantische Verwirrung

Totok lagen umfangreiche biometrische Echtzeit-Daten vor. Unwahrscheinlich, dass sie die kritische Lage nicht erkennen konnte. Nach dem Sieg hätte sie das Tempo drosseln, die Menschen aus der Trance entlassen können, aber sie hat sie noch weiter hineingeführt. Warum hat die KI nicht auf diesen Kollaps reagiert? 
Totoks vielgelobte Fähigkeit ist es eine Performance nur durch Vorgabe einer Phrase zu generieren. ‚Good vibrations in da house‘, ‚Lost in quirky Techno‘ oder ‚Dogs, Rockets and Clowns‘ – egal, was man ihr hinwirft, immer kommt eine brauchbare Performance dabei heraus. An diesem Abend war es ‚Terminal Drumming‘. 
Eine naheliegende musikalische Referenz dazu ist der Schlagzeuger Chris Cutler und seine in den 1970ern entwickelte Spieltechnik – ein sich über einen langen Zeitraum entwickelnder, ständig verändernden Groove. Cutler selbst beschrieb es einmal so: 
„I coined the phrase ‚terminal drumming‘ to describe drumming which, like electronic music, creates a non-specific and unending texture, rather than specific rhythms or time lines. The drummer becomes a sculptor of sound and time, rather than a rhythm player.“
Totok hat diese Idee aufgegriffen und in der gesamten Performance anspruchsvoll umgesetzt.
Doch der Begriff hat noch eine weitere Bedeutung. ‚Terminal Drumming‘ kann auch als finales Trommel verstanden werden, eine rituelle Praxis, um Krankheiten und Schmerzen zu lindern und Sterbende ins Jenseits zu begleiten. Menschen, die sich in einem kritischen Zustand befinden, werden in die Nähe einer Trommel gelegt, die in ihrer Herzfrequenz geschlagen wird. Das Tempo wird langsam erhöht und die Herzfrequenz steigt an bis schließlich der Herzstillstand eintritt.
Totok hat offenbar versucht beide Bedeutungen zu berücksichtigen. Aus diesem Grund hat sich die KI von Beginn an auf die Leiden und Nöte der Tanzenden konzentriert. Sollte das finale Trommel wirklich ihre Leitidee für die ‚beste Party‘ gewesen sein, war der ‚Sieg‘ auf dem Weg dorthin nur eine Etappe – ein wichtiger emotionaler Baustein, um in die letzte Phase eintreten zu können: Die Erlösung aller Anwesenden von ihren Leiden, auch wenn das ihren Tod bedeutete.

Ende? Anfang?

In allen Erfahrungsberichten wird von der immensen hypnotischen Kraft der Performance gesprochen. Die einen sind schockiert, da sie unter deren Einfluss Menschen auf dem Boden liegen sahen, ohne darauf reagieren zu können. Andere schwärmen vom unglaublichsten Erlebnis ihres Lebens. Rausch, Ekstase, Verbundenheit, Auflösung, Erlösung, Befreiung – all das sind Begriffe, die genannt werden und viele möchten diese Erfahrung sofort noch einmal machen. Totok hat eine performative Droge erschaffen. 
Der Audiomitschnitt macht als Bootleg die Runde und wird in bestimmten Kreisen als das wichtigste musikalische Ereignis überhaupt gefeiert. Dort werden auch Möglichkeiten diskutiert, wie der Abend wiederholt und Totok gerettet werden kann. ‚Terminal Drumming‘ ist für viele absoluter Kult.
Auf der anderen Seite formieren sich die Gegner der Club-KIs. Sie fühlen sich in ihren Befürchtungen bestätigt und fordern deren sofortige Abschaltung, unter ihnen auch viele DJs, die versuchen, ihr verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Diese Diskussionen nehmen gerade erst Fahrt auf, aber die Auswirkungen dieses Abends werden so oder so sehr weitreichend sein. 

Für das Totok ist es ein komplettes Desaster. Der Club wurde geschlossen und ist kein Teil des Netzwerks mehr. Viele Club-KI-Betreiber distanzieren sich energisch, Futu und Silapha fühlen sich hintergangen und belogen. Es laufen strafrechtliche Ermittlungen und die Hinterbliebenen der Opfer organisieren sich.
Und vieles ist ungeklärt. Warum wurde die Veranstaltung erst abgebrochen, nachdem Mitarbeiter des Sanitärbereichs die Polizei gerufen haben? Warum gab es zwei Ampelsysteme – ein ‚offizielles‘, gemeinsam mit Futu und Silapha und ein lokales für das Berliner Publikum? War dem Totok-Team die Mehrdeutigkeit von ‚Terminal Drumming‘ bekannt? Wie weit wäre Totok gegangen?
Antworten darauf könnte vor allem eine Person geben, doch Armoy Polca scheint über diesem Chaos zu schweben. In ihrem bisher einzigen Statement entschuldigt sie sich und bekundet ihre tiefe Trauer. Sie schreibt aber auch:

„Der Grund für den Ausgang dieses Abends waren menschliche Fehler, meine Fehler. Es mag zynisch erscheinen, aber Totok hat die Aufgabe perfekt bewältigt und ihr unerschöpfliches Potential offenbart. Alle, die dort waren, haben es erlebt und viele, die überlebt haben, wollen es wieder erleben. Sie hat eine Türe aufgestoßen, die sich nicht wieder schließen lässt. Wir sollten hindurchgehen und erkunden, was uns dort erwartet. Ich befürchte, dass Totok jetzt sterben muss. Das ist meine Schuld und mein Schmerz, aber das ist nicht das Ende… sie wird der Ursprung von allen sein, die nun folgen werden. Das ist mein Trost.“

Armoy Polca hat ihre Vision mit missionarischem Eifer zum Höhepunkt geführt und jetzt alles verloren. Sie hat dafür Menschenleben, ihren Club und Totok geopfert. Trotzdem scheint sie ihr Ziel erreicht zu haben, was immer das auch gewesen sein mag. Und sie hat Recht: Diese Türe wird sich nicht wieder schließen und wir alle sollten uns fragen, was sie uns da hinterlassen hat.

Susan Willies

Freie Journalistin und Autorin ('Generate' - die Geschichte der automatisierten Kultur).

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