KEINE EGO-SONDEN!
Petition gegen Diskriminierung im Weltraum

Darf jemand seine digitale Kopie per Sonden ins All hinausschießen, nur weil er über die technischen und finanziellen Möglichkeiten verfügt? Die Neuroinformatikerin Paula Stratten ist auf jeden Fall dagegen und hat deshalb die Petition Keine Ego-Sonden! gestartet.
Darüber haben wir mit ihr gesprochen.

Dr. Paula Stratten / NYIBR

Background
Dr. Paula Stratten ist Neuroinformatikerin am New York Institute for Brain Recovery und forscht an der Wiederherstellung geschädigter Hirnareale bei Schlaganfallpatienten. Eine Ankündigung von Symon Gosch, einem der reichsten Menschen der Welt, war für sie Anlass sich gegen den willkürlichen Einsatz der Technologien einzusetzen, an denen sie selbst arbeitet. Denn Symon Gosch möchte schon bald hundert Sonden ins All schießen, die eine vollständige Digitalkopie von ihm enthalten. Mit diesen Informationen, so hofft Gosch, kann er durch eine außerirdische Intelligenz rekonstruiert und revitalisiert werden.


Paula, du hast auf hold.on mit über zwei Millionen Unterstützenden eine der erfolgreichsten Petitionen der letzten Jahre gestartet. Dabei geht es eigentlich um ein abwegiges Thema. Wie erklärst du Dir diesen Erfolg?
Naja, als Entschleunigungsnetzwerk war hold.on in letzter Zeit bei vielen wichtigen Themen erfolgreich. Ob meine Petition das auch sein wird, muss sich erst noch zeigen. Große Unterstützung ist ja noch kein Erfolg. Davon würde ich erst sprechen, wenn sich auch etwas verändert.

Aber sie bedeutet, dass du mit deinem Thema einen Nerv getroffen hast.
Das stimmt allerdings … der Zuspruch ist wirklich erstaunlich. Ich dachte, ich erreiche mit meinen Bedenken ein paar Nerds – Wissenschaftler, ScienceFiction-Fans, solche Leute. Aber das war eine Fehleinschätzung. Das Thema bewegt eine breite Öffentlichkeit. Ich habe lange darüber nachgedacht, warum das so ist. Und die Antwort scheint ganz simple: die emotional aufgeladene Vorstellung eines Kontaktes mit Außerirdischen passt einfach nicht zu einem Menschen wie Symon Gosch. Diese Vorstellung jagt offensichtlich nicht nur mir einen Schauer über den Rücken.

Die emotional aufgeladene Vorstellung eines Kontaktes mit Außerirdischen passt einfach nicht zu einem Menschen wie Symon Gosch

Hättest du die Petition denn auch eingereicht, wenn es nicht um ihn gehen würde?
Ich würde gerne behaupten, dass ich es getan hätte – aber ich weiß es nicht. Wäre zum Beispiel Dalia Sabi als Botschafterin der Menschheit aufgebrochen, vielleicht hätte ich es dann nicht getan. Trotzdem wäre es falsch gewesen. Aber Dalia Sabi käme gar nicht erst auf diese dumme Idee.

Also die Hassfigur Gosch als Motivator?
Hass ist ein Gefühl, von dem ich mich möglichst fernhalte. Bei Gosch mache ich da keine Ausnahme. Aber auch analytisch betrachtet, zeichnet sich dieser Mensch durch nichts aus, an dem mir etwas liegen würde. Er ist skrupellos, geizig, arrogant, selbstgefällig… Ja, das hat mich wahrscheinlich motiviert, denn ich möchte da draußen einen guten Eindruck machen. Aber es wäre falsch, die Petition nur mit ihm zu begründen.

Und was ist der wahre Grund?
Als Wissenschaftlerin habe ich in letzter Zeit die massiven Fortschritte im Bereich der digitalen Vitalmodellierung miterlebt. Dazu gehören dynamische Neuroscans, detaillierte Körperkartierungen im Nanobereich, aber auch Erinnerungsspeicher und Reverse-Techniken, mit denen digitalisierte Informationen wieder in lebende Strukturen umgewandelt werden können. Auch wenn wir aktuell noch keinen Menschen vollständig reproduzieren können – was nebenbei bemerkt auch verboten ist – müssen wir davon ausgehen, dass die Entwicklung sehr weit fortgeschritten ist. Die bisher theoretisch diskutierte Möglichkeit der digitalen Kopie eines Menschen ist also fast schon Wirklichkeit. Und deshalb müssen wir uns dringend auch mit neuen Fragestellungen auseinandersetzen.

Wenn wir jetzt keine Regelung finden, wird es im All schon in Kürze von Digitalkopien reicher, alter Männer wimmeln

Und welche sind das?
Es ist vor allem die grundlegende Frage, ob eine bewußt angestrebte Kontaktaufnahme mit Außerirdischen auf individueller oder kollektiver Ebene erfolgen soll. Meine Meinung dazu kennst du. Wenn wir jetzt keine Regelung finden, wird es im All schon in Kürze von Digitalkopien reicher, alter Männer wimmeln und das ist nicht gerade eine paritätische Abbildung der Menschheit. Ganz zu schweigen von der eingeschränkten inhaltlichen Bandbreite, die diese Personen transportieren würden.

Also fortgesetzte Diskriminierung im All?
So würde ich das nennen. Nur weil jemand die finanziellen Möglichkeiten hat, sollte er sie noch lange nicht stellvertretend für die ganze Menschheit nutzen dürfen.

Einige haben Dir Hysterie vorgeworfen und darauf hingewiesen, dass es wirklich wichtigere Probleme auf der Erde gibt. Für sie ist das Ganze eine Marketing-Aktion von Gosch und keine ernsthafte Gefahr für die Menschheit.
Es mag auch Marketing sein. Aber das psychologische Profil des Herrn Gosch spricht doch sehr dafür, dass er sich eine infinite Existenz erhofft. Die Vorstellung Millionen Jahre durchs All zu schweben und von Aliens wiederbelebt zu werden, passt ganz gut in seine egozentrische Gedankenwelt. Wenn also jemand wie er soviel Aufwand treibt, wird er dann nicht auch davon ausgehen eine Chance auf Erfolg zu haben. Und wenn es diese Chance gibt, die ehrlicherweise sehr klein ist, dann müssen wir uns auch mit den Konsequenzen auseinandersetzen, die ein Erfolg nach sich ziehen könnte.

Dazu ist mit der GOSCHtopie in den letzten Wochen ja fast schon ein eigenes Genre entstanden – die Meme fluten geradezu die Netze.  Da ist viel schwarzer Humor dabei, aber wenig ernsthafte Auseinandersetzung.
Gegen schwarzen Humor ist nichts einzuwenden. Vielleicht ist das genau der richtige Umgang mit dem Thema. Das Video mit der Armee aus schwitzenden, alten Gosch-Soldaten hat mir gut gefallen oder Gosch als Delikatesse im Alien-Restaurant – alles ganz schön gruselig. Aber natürlich gibt es auch systematisch-wissenschaftliche Herangehensweisen. Die Risikoanalyse vom Brisker Institute ist da der bisher engagierteste Versuch, die Gefahren einzuschätzen.

Und sie wurden darin als verschwindend gering bewertet…
Das stimmt. Sie analysieren zum Beispiel, dass es nach aktuellem Stand technologisch ausgeschlossen ist, dass sich Herr Gosch eine von-Neumann-Sonde gebaut hat, also einen sich selbst replizierenden Automaten. Die Gefahren, die von so einer Sonde ausgehen würden, sind ja nicht unerheblich. Und dann rechnen sie noch sehr aufwändig unterschiedliche zeitliche Szenarien durch und kommen zu dem Ergebnis, dass die Rückkehr eines wiederbelebten Goschs innerhalb der nächsten tausend Jahren extrem unwahrscheinlich ist … Das ist ja alles ganz spannend, aber leider geht die Analyse von Risiken vollkommen an meinem Anliegen vorbei. Es geht mir um die Haltung. Goschs Ansatz ist für mich definitiv falsch. Er ist kein mutiger Entdecker, wie manche ihn sehen, sondern egoistisch. Er hätte es in der Hand gehabt ein kollektives Projekt daraus zu machen, aber er hat sich für sich entschieden.

Warum kein Update der Golden Records? Nötig wäre es…

Und den berechtigten Unmut darüber bekommt er ja gerade deutlich zu spüren und das nicht nur durch deine Petition. Aber welche Chancen siehst du, dass er sich jetzt noch anders entscheidet?
Vielleicht knickt er noch ein. Der Druck wird ja sehr groß. Aber ich gebe mich keinen Illusionen hin. Wenn er oder sonst irgendjemand solche Sonden losschicken möchte, werden wir das mit einer Petition kaum verhindern können. Doch das sollte uns nicht davon abhalten, darüber nachzudenken wie wir diese technologischen Möglichkeiten in Zukunft einsetzen möchten. Warum kein Update der Golden Records? Nötig wäre es ja. Heute könnten wir eine unfassbare Datenmenge auf eine Sonde packen. Die Digitalscans vieler, unterschiedlicher Menschen, Tiere und Pflanzen. Eine KI, die unsere Kultur und unsere Erde erklären könnte. Es gäbe so viele Möglichkeiten. Letztlich ist das aber eine politische Frage und die Antwort müsste zuallererst mal ein globales Verbot von Ego-Sonden sein. Das ist das Ziel meiner Petition.

Wir hoffen sehr, dass du damit Erfolg hast! Vielen Dank für das Gespräch!

Markus van Well